Es gibt einen Moment im Jahr, in dem Italien plötzlich aufzuwachen scheint, wie ein großer Garten, der zwischen der Erinnerung an die Felder und dem Duft der Rosen blüht. Dieser Moment ist der Mai, ein Monat, der in der italienischen Kultur weit über den einfachen Wechsel der Jahreszeiten hinausgeht. Der Mai ist ein Symbol der Wiedergeburt, der Hoffnung, des Lebens, das wieder auf der Erde und in den Herzen der Menschen fließt. Und vor allem ist der Mai eine kraftvolle Brücke zwischen der Gegenwart und einer tief verwurzelten Vergangenheit, die in vielen Italienische Dörfer und überraschenderweise auch in den Erinnerungen und Gesten der im Ausland lebenden Italiener.

Jeder, der in einer italienischen Stadt aufgewachsen ist, ob klein oder groß, weiß, dass der Mai sein eigenes Tempo, sein eigenes Licht, seinen eigenen Geruch hat: den des Morgentaus und der zum Trocknen in der Sonne hängenden Wäsche, den der Rosen auf den Balkonen und den der Lieder, die einst die Aussaat oder die Marienanbetung begleiteten. Es ist ein Monat voller Rituale, alter Worte und geflüsterter Sprichwörter von Großmüttern und Bauern, die eine Weisheit aus Beobachtung und Staunen bewahren.
Der Mai als Rückkehr zur Erde
Der Ursprung all dieser Feierlichkeiten liegt einem zutiefst menschlichen Gefühl zugrunde: dem Bedürfnis, sich als Teil eines natürlichen Kreislaufs zu fühlen und zu erkennen, dass unsere Existenz mit der der Erde verflochten ist. Es ist kein Zufall, dass viele der Feierlichkeiten dieses Monats bäuerlichen oder heidnischen Ursprungs sind und später von der christlichen Religion übernommen wurden.

Die Figur des „Mai“, des mit Zweigen und Blumen geschmückten jungen Mannes, ist vielleicht eine der intensivsten Darstellungen des Geistes dieses Monats: eine Menschlichkeit, die mit der Natur verschmilzt und zum Symbol der Vitalität, des Überflusses und der Fruchtbarkeit wird. In den Alpentälern gibt es auch heute noch Menschen, die am 1. Mai ein Kreuz oder einen Besen auf die Felder stellen, um sich vor schlechtem Wetter zu schützen. Eine einfache Geste, aber voller Bedeutung. Es ist ein stilles Gebet an die Erde und den Himmel, an die Hoffnung, dass jeder Spross Frucht bringen kann, dass jeder Samen seine richtige Zeit findet.
Die Folklore, die verbindet
Traditionen wie die Maifeiertag von Assisi, mit seinen historischen Umzügen und Wettkämpfen zwischen den Stadtteilen, oder das toskanische Maggiolate mit Liedern unter den Fenstern, sind nicht nur Shows für Touristen. Es handelt sich um kollektive Rituale, die die Identität einer Gemeinschaft stärken. In diesen Tagen verwandeln sich die Städte, die Zeit bleibt stehen, die Gegenwart vermischt sich mit dem Mittelalter und jede Geste – von der Wahl der Kostüme bis zu den Chören, die bei Sonnenuntergang singen – ist eine Art zu sagen: „Wir sind noch hier, und auf diese Weise erzählen wir unsere Geschichte.“

Diese Art von Folklore, die so lebendig ist und geteilt wird, muss nicht rational erklärt werden: Man spürt sie in der Luft, im Trommeln, in den Tränen, die unerwartet über die Wangen derer rollen, die jahrelang nicht in ihre Heimat zurückgekehrt sind. Und hier zeigt sich vielleicht die stärkste Bindung zwischen May und den Italienern im Ausland. Denn wer Italien verließ, nahm diese Bilder mit: die Dorffeste, die Prozessionen mit der Madonna inmitten der Blumen, die Sprichwörter, die man als Kind lernt und die man selbst Tausende von Kilometern entfernt wiederholt.

Nostalgie, die zum Ritual wird
Für im Ausland lebende Italiener kann der Mai ein süßer und grausamer Monat zugleich sein. Schön, weil es Kindheitserinnerungen weckt, weil man sein Land wieder mit den Augen der Erinnerung sieht. Grausam, weil es den Wunsch neu entfacht, dort zu sein und diesen Duft des Frühlings, vermischt mit Weihrauch und Heu, einzuatmen. Aus diesem Grund verfolgen viele Italiener im Ausland diese Feierlichkeiten mit Zuneigung: Die Online-Nachstellungen, die Live-Übertragungen der Paraden, die von Verwandten geteilten Fotos werden zu kleinen Fenstern, die sich zur Seele eines Italiens öffnen, das Widerstand leistet und weiterhin seine Geschichte durch seine Riten erzählt.

Auch im Kontext der Auswanderung, sei es in Argentinien, der Schweiz, Deutschland oder Australien, mangelt es nicht an blumengeschmückten Votivschreinen, Rosenkränzen im Monat Mai oder kleinen Festen, die von den italienischen Gemeinden organisiert werden. Es ist ein Beweis dafür, dass Tradition nie nur eine lokale Tatsache ist, sondern eine Wurzel, die sogar in der Ferne wächst, wenn sie von Erinnerungen und dem Wunsch nach Zugehörigkeit genährt wird.
Mai ist Identität
In der Hektik unserer Tage lehrt uns der Monat Mai – mit seinen langsamen Riten, seinen gesungenen Worten, seinen Rosen, die ohne Eile blühen – ein anderes Maß. Es erinnert uns daran, dass die Identität eines Volkes auch durch seine Feste geprägt wird, durch die Fähigkeit, die vergängliche Schönheit, die Zerbrechlichkeit der Natur und zugleich ihre regenerative Kraft zu feiern. Es zu feiern, und sei es nur in Gedanken, ist eine Möglichkeit, Italiener zu bleiben. Und vielleicht ist genau das die Macht der Maitraditionen: Sie halten uns zusammen und geben uns das Gefühl, Teil einer Geschichte zu sein, die noch viel zu sagen hat. Auch (und vor allem) für diejenigen, die fernab der blühenden Felder noch immer das Echo jener Lieder hören, die in der Nacht zwischen April und Mai die Tür zum Leben öffneten.
lascia un kommentar (0)